Jetzt stell dir mal vor, dein Leben wäre anders....
Stell dir mal vor du wärst arm, aber so richtig arm und nicht nur so arm dran, dass du dieses Wochenende nicht mehr raus gehen kannst oder dir die Kohle für deine neue Jeans nicht mehr ausreicht. Nee, Ich meine so arm, dass du deine Miete und alle anderen Kosten die du so zum Überleben brauchst nicht mehr zahlen kannst… Wirklich so arm das du nicht mehr in der Lage bist, 3 ganzen Mahlzeiten oder ne Tasse Kaffee zu bezahlen, genauso wie du es mal gewohnt warst… Genauso arm wie die Bettler die du auf dem Bürgersteig, am Bahnhof oder unter der Brücke siehst während du von der Arbeit, vom shoppen oder vom wöchentlichen Treffen mit deinen Kumpels heim kommst. Diese Armen die wir immer versuchen zu ignorieren, die wir nicht gerne sehen oder sagen wir mal, die wir nicht gerne sehen wollen und auf unsere Art und Weise einfach unsichtbar machen… Ja genau, die Menschen die auf diesen braunen Kartonpappen sitzen, wenn sie Glück haben in Decken, Schlafsäcken oder warmer Kleidung eingemummt. Oft auch einen Hund oder einen vollgepackten Einkaufswagen mit ihrem bisschen Hab und Gut dabei haben. Oder vielleicht auch gar nichts… Meistens haben sie einen kleinen Pappbecher vor sich stehen um Centstücke von uns, die, die Mitleid für sie haben, einzusammeln. Diese Art von Armen die wir meistens danach verurteilen Alkoholiker, Drogenabhängige, Ex-Knackies oder Sozialschmarotzer zu sein… Die die wir faul und nutzlos nennen ohne überhaupt irgendwelche wahren Hintergründe zu kennen….
Wenn ich mal in Bremen bin, sehe ich viele davon. Mir kommt es auch wirklich schon so vor, als wären es jedes Mal mehr. Auch immer mehr ältere und kranke Leute die Strassenzeitungen verkaufen oder irgendwo herum stehen. Mir ist dieses Jahr auch schon zu Ohren gekommen das sie mittlerweile aus Bahnhöfen und Parks entfernt werden, vom Ordnungsamt, oft sogar schon mit Bußgeldverweisen weil sie angeblich eine Ordnungswidrigkeit begangen haben…
Und auch hier in Marokko sehe ich sie immer wieder, wenn ich in der Stadt bin sogar täglich, und zwar nicht nur nur einige sondern zig von ihnen… Man sagt das viele von ihnen Betrüger wären, sich kleine Babies und Kinder, die nie älter werden, aus den Bergen mieten und damit Geld machen, weil sie wissen das die Europäischen Touristen Mitleid mit ihnen haben werden . Aber sind sie denn unseren Verhältnissen nach denn nicht auch arm? Und ausserdem bin ich mir da auch sehr sicher, dass dies wirklich nur eine handvoll ist.
Naja, auf jeden Fall sehe ich sie wenn ich mein Haus verlasse. Die Bettler die in den alten Medinastadtmauern oder Klippen hocken, steinalt mit ihren Krücken und Holzgehstöcken, können schon gar nicht mehr geradeaus schauen weil ihr Rücken so gekrümmt ist oder haben keine Hände oder Füße mehr. Alte, blinde, behinderte Menschen so wie du und ich, in Rollstühlen an der Hauptstraße geparkt wo sich mehr Menschen, speziell Touristen tummeln. All diese armen Seelen, die sich zum Teil schon aufgegeben haben, die um ein paar Dirhams betteln müssen um zu erleben.
Ja, die sehe ich… Jeden Tag…
Oft gebe ich Ihnen etwas, oder sagen wir besser, manchmal, aber dann auch nur denen die ich bereits kenne, wo ich weiß das sie es wirklich brauchen, auch wenn ich mal in Deutschland bin. Aber es sind einfach zu viele, zu viele um alle zu versorgen. Und dann fühle ich mich immer beschämt und schaue auf den Weg und versuche ihre Blicke zu meiden, versuche schneller zu laufen und verstecke meine gerade gekauften Brote und Lebensmittel in meinem Stoffbeutel. Ich, die „reiche“ Europäerin, die ja genug hat aber nichts gibt…. Ich versuche auch manchmal in gebrochenem Marokkanischem Arabisch zu sagen das ich leider kein Kleingeld habe, aber das haben sie heute bestimmt schon etliche Male gehört….
Und dann haben wir da noch die armen Leute die immer noch ein Zuhause haben, irgendwo in ganz einfachen oder miserablen Gegenden, da wo keiner seinen Hund freiwillig wohnen lassen würde, in Slums zum Beispiel. Wo sie mit bis zu 12 Familienmitgliedern in einem 3 oder 4 Zimmer Haus hausen. Alle zusammen unter einem Dach. Großeltern, Eltern, Ehefrau, Geschwister und Kinder. Es gibt in vielen Fällen auch immer noch keine eigene Dusche im Haus und das Baden der Kinder und das Wäsche waschen wird ganz normal im Eimer vollbracht. Jede, oder alle zwei Wochen, geht man dann einfach ins Hamam, in die traditionelle Sauna, die in der Wohngegend liegt um sich dort zu duschen und die alte, abgestorbene schmutzige Haut abzuschrubben. Aber das auch nur wenn man das Geld dazu hat….. Umgerechnet 1 Euro pro Person....
Ach und mit einer Krankenversicherung brauch ich gar nicht anfangen da es die nicht gibt. Falls man krank wird dann zahlt man direkt im Krankenhaus. Kein Moos-Kein Arzt… Was natürlich einigen den Tod kostet weil sie aus Geldmangel nie zu irgendwelchen Vorsorgen gegangen sind. Nicht so wie bei uns, wo man sogar noch krankenkassenpflichtig ist, alles bezahlt bekommt und trotzdem noch jammert das es nicht genug sei oder das man zulange im Wartezimmer sitzen musste… Hier läuft der Hase anders…. Medikamente, Schulmaterialien, gute nützliche Kleidung, Elektroartikel und Spielzeug ist meist alles Import und somit für die meisten, die ohne einen goldenen Löffel geboren sind, unvorstellbar. Und wir denken immer das in dritte Welt Ländern alles so günstig wäre.. Das ist es, aber auch nur wenn es um Obst, Gemüse, Reis, Nudeln, Brot und Wasser geht.. Alles andere ist meist noch teurer als bei uns.
Und ich bin wirklich der Meinung, daß die meisten Menschen die hier leben arm sind, sich sogar noch einige Meter weiter unter der Armutsgrenze bewegen, aber trotzdem jeden Tag hart arbeiten um etwas Geld zum leben zu haben. Einen Sozialstaat gibt es nicht. Wenn du deine Arbeit verlierst dann war es das. 7 Tage die Woche, von morgens bis abends, keinen freien Tag. Sie fangen, säubern oder verkaufen Fische, Krabben, Muscheln oder Schnecken, fegen die Straßen, verkaufen Gemüse und Früchte, arbeiten in kleinen Souvenir, - oder Ledergeschäften, putzen in Hotels oder auch Schuhe, arbeiten als Strassenmusikanten oder Parkplatzwächter. Die meisten von ihnen beendeten ihre Schule bereits vor dem 8. oder 12. Lebensjahr um den Eltern zu helfen Geld nach Hause zu bringen. Wenn sie überhaupt irgendwann mal gingen... Einige haben Schulen oft nie von innen gesehen…
Manchmal, wenn ich Gäste bei mir empfange, die viele tolle, meist handgemachte Erinnerungsstücke mit nach Hause bringen wollen oder die Touristen die ich in den Läden beobachte, die alles fast umsonst haben möchten, dann gelange ich wirklich an dem Punkt an, an dem ich am liebsten vor Scham im Erdboden verschwinden möchte. Ich fühle mich dem Jungen oder dem Herrn, der in dem Geschäft arbeitet sehr schlecht gegenüber weil ich genau weiß, dass er an dem verkauftem Stück fast oder überhaupt nichts verdient hat. Ich verstehe zwar das viele Touristen die her kommen den normalen Preis auch nicht kennen und das Europa auch finanziell nicht mehr das ist, was es mal war. Ich weiß auch das man ihnen bereits vor der Ankunft erzählt das man in Marokko alles verhandeln kann, dass dies normal sei, so eine Art Spiel mit dem Händler- Das stimmt, es ist auch normal- Aber du entscheidest letztendlich den Preis und nicht er, auch wenn er sich das natürlich nicht anmerken lässt… Er ist nur froh überhaupt etwas verkauft zu haben….
Wenn du mal genau drüber nachdenkst: Während du super glücklich und zufrieden mit deinem schönem, neuem, handgemachtem Silberteeset ,was dich nicht mehr als umgerechnet 15 Euro gekostet hat,zurück ins Hotel bummelst, hat dein Verkäufer daran nicht mehr als 2 Euro verdient, was auch in Marokko nicht viel ist. Er muss also nochmal 4 Teesets wie deines für 15 Euro das Stück verkaufen um seiner Familie und eventuell auch sich, heute Abend etwas zu essen kaufen zu können. Was ja viele Touristen auch nicht wissen können ist, dass ein normales Grundgehalt bei zwischen 180 und 280 Euro monatlich liegt und dann ist es einem nicht mal garantiert das man es überhaupt oder auch pünktlich ausbezahlt bekommt. Die meisten Arbeitskräfte arbeiten alle ohne jegliche Art von Verträgen. Für den Chef günstiger und für sie schneller um an Arbeit zu gelangen. Alle die in Geschäften tätig sind und mit Teppichen, Kleidungsstücken, Taschen und andere Dingen handeln, bekommen nur Kommissionen auf jedes verkaufte Teil und kein Grundgehalt, meistens sind es so an die 25%. Sie sitzen oder stehen den ganzen Tag in den kleinen Läden, haben nebenan dazu noch etliche Konkurrenten die exakt die gleichen Produkte verkaufen. (Auch etwas das ich mich immer schon fragte. Wieso setzt man die alle nebeneinander? Schuhputzer neben Schuhputzer, Lederverkäufer neben Lederverkäufer… Das kann ja am Ende des Tages , oder schon eher, nur im Krieg ausarten.. Aber naja, ein anderes Thema auf das ich irgendwann mal zurück komme… ).
Aber jetzt stell dir mal vor, du müsstest so leben. All deine, im Gegensatz hierzu „ kleinen“ Probleme, die du so hast wie zum Beispiel Zuhause, mit deiner Frau, deinem Ehemann oder das du dringend ein neues Handy oder Winterreifen benötigst, sind überhaupt nichts wenn du es mit solchen, wirklich traurigen Lebensschicksalen vergleichst.. Keiner von uns konnte sich aussuchen wo und in was für Zustände er hinein geboren wurde. Deshalb denke ich, dass wir alle, mit dem was wir haben, eigentlich zufriedener und dankbarer sein sollten… Schließlich ist es nicht immer selbstverständlich eine gute Schulbildung, Kleidung und ein Dach über dem Kopf zu haben…
Und vielleicht bezahlt man jetzt auch mal 1 oder 2 Euro mehr für etwas wenn man verreist, speziell in ein dritte Welt Land. Mich würde es auf jeden Fall freuen :-)
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